Der Traum des Vaters – Interview

Allenthalben wird in diesen Tagen das Jubiläum des Anwerbevertrags Deutschland-Italien gefeiert. War dieses Jubiläum der Auslöser für Eure Filmidee?

Michael Chauvistré:
Zuerst gab es die Figur Rinaldos, den wir kannten, erst dann fiel uns auf, dass es nun bald dieses Jubiläum gab. Wir dachten, das wäre die Gelegenheit, diesen Stoff bei einem Sender unterzubringen. Was sicher auch geholfen hat, aber letztlich ist die Entscheidung gefallen, weil sich die Sender mit unserem Protagonisten und unserer Geschichte anfreunden konnten.

Miriam Pucitta:
Ich hatte schon recht früh an dieses Jubiläum gedacht. Andererseits wollte ich schon immer eine Geschichte über Migration erzählen. Meine Eltern sind in den 60er Jahren, aus Italien kommend, in der Schweiz gestrandet, und später, in den 70er Jahren, wieder nach Italien zurückgekehrt. Ich habe selber die Auswanderung, das Gastarbeitersein erlebt. Auf jeden Fall wollten wir gewisse Klischees vermeiden, wir wollten eine Geschichte erzählen, die anders klingt.

vater-und-sohn

Eine Geschichte, die aus der Reihe fällt. Rinaldo Talamonti, der Protagonist von Der Traum des Vaters, ist der Dreh- und Angelpunkt des gesamtes Projektes. Wie habt ihr ihn gefunden?

Miriam Pucitta:
Vor zehn Jahren hatte ich eine Filmpremiere. Und wie es oft ist, hatte ich kein Geld, um die Premiere feierlich zu gestalten. So habe ich mich auf die Suche nach Sponsoren gemacht. Ich nahm das Branchenbuch und telefonierte alles ab, was italienisch klang, von Restaurants bis zum Weinhandel. Rinaldo war bereit, das Projekt zu unterstützen. Nach der Vorführung sollten wir mit dem Team in sein Restaurant. Nach der Filmvorführung kündigte ich an, dass es einen kleinen Umtrunk gäbe. Ich rechnete mit einer kleinen Gruppe Menschen. Schließlich waren wir so viele, dass in Rinaldos Bistro niemand mehr hinein passte. Es waren Häppchen und Antipasti bereitgestellt. Ich raste zu ihm, um ihm zu sagen, dass wir uns das gar nicht leisten könnten. Ich hatte vielleicht mit einem Prosecco für alle gerechnet. Er antwortete: „Das passt schon.“ Und so haben wir uns kennen gelernt. Der Kontakt ist geblieben, ich habe ihn zu meinen späteren Premieren eingeladen. Er erzählte mir oft aus seinem Leben und begann nach und nach, etwas von sich preisgegeben. Irgendwann war dann die Idee reif, einen Dokumentarfilm über ihn zu machen.

Michael Chauvistré:
Dabei darf man nicht verschweigen, dass Rinaldo dir und uns immer und immer wieder erklärte, er sei ja eigentlich Schauspieler und wolle jetzt mal einen großen Film machen, und du solltest ihm bitte ein Drehbuch schreiben, mit einer großen Rolle für ihn darin! Irgendwann mussten wir ihm klar machen, dass wir diesen großen Plan erstmal zurückstellen, jetzt zunächst einen Dokumentarfilm über ihn und sein Leben machen, in dem er natürlich auch ein bisschen über die Schauspielerei erzählen könne.Er hat es von mir gelernt. Auch wenn es kein Restaurant war und nur eine Bar. Aber ich hatte den Traum, ein Restaurant aufzumachen. Ich selbst habe ihm von klein auf alles beigebracht.

Ezio Talamonti – DER TRAUM DES VATERS ist ein Film über Sehnsucht nach dem richtigen Leben und dem Ort, wo man dieses leben kann.

Miriam Pucitta:
Spannend war zum Beispiel, wie unterschiedlich Rinaldo und sein Bruder Deutschland erlebt haben. Während Rinaldo der Italophile ist und Sehnsucht nach der Heimat hat, ist Nadio genau das Gegenteil. Als er nach Deutschland kam, war er ein Kind, er hat Deutschland wie im Traum erlebt, und dieser Traum ist ihm bis heute geblieben. Er findet Italien nicht so toll, alle schönen Erinnerungen seines Lebens stammen aus Deutschland. Der Vater hatte das Ziel, den Kindern „Europa“ näher zu bringen. Aus dem engen Dorf heraus hat er den Kindern beigebracht, richtig zu schauen, eine neue Lebensart zu erlernen, eine andere Kultur aufzunehmen, um sich integrieren zu können. Nadio hat das schon als Kind bewusst geschafft. Rinaldo, der älter war, hat mehr mit der Exotik des Italienischen gespielt. Er hat in einer Eisdiele gearbeitet, als Italiener flaniert mit Mädchen. Das hat er sich auch in den Filmrollen, die er gespielt hat, bewahrt, und auch später noch als italienischer Schuhvertreter. Und schließlich in seinem Restaurant. Das war seine Rolle, die des kleinen Italieners.

Michael Chauvistré:
Der Vater von Rinaldo hat es nur drei Jahre geschafft, in München zu bleiben, dann reichte das Geld nicht mehr, und er musste zurückgehen. Aber das Ideal, dass Deutschland das bessere Land sei, in dem man eigentlich leben sollte, hat er sich erhalten. Er ist sehr stolz darauf, dass sein Sohn Rinaldo es geschafft hat, hier nicht nur anzukommen, sondern auch erfolgreich zu sein. Rinaldo hingegen ist in einer Lebensphase, wo er erfolgreich ist und sich jetzt fragt, was danach kommt. Seine Antwort lautet: „Eigentlich bin ich – auch wenn ich hier seit über 40 Jahren lebe – auf der Durchreise.“ Irgendwann wird er zurückgehen, um sich da unten ein neues Nest zu bauen, vielleicht auch, um die Anerkennung seiner alten Freunde zu erhalten, um zu zeigen, dass er es geschafft hat, dass es sich gelohnt hat, so lange weg gewesen zu sein. Hier spielt er den Italiener. Und war immer sehr erfolgreich damit, die Italiensehnsucht der Deutschen wirtschaftlich zu nutzen. Aber gefragt, ob es wichtiger ist, ein Haus in Italien oder in München zu haben, dann ist für ihn ganz klar: in Italien, da muss das Haus stehen, auch wenn er es dort weniger nutzen kann als hier. Anders sein Sohn, der das alles für Nostalgiequatsch hält. Ein Haus in Italien ist praktisch, dort kann man mal hinfahren. Aber mehr als eine Spielerei mit der Sehnsucht der eigenen Ursprünge ist das nicht. Sein Leben ist hier, ob er nun deutsch oder englisch oder notfalls italienisch spricht. Im Grunde ist er nirgendwo zu Hause oder eben einfach dort, wo er gerade ist.

Mit den Regisseuren Michael Chauvistré und Miriam Pucitta sprach Ingo Fliess, Gründer und Vorstand der Filmautoren AG