Über die Entstehung des Films

Von einer Freundin, die bei IKEA International als Dekorateurin in der ganzen Welt arbeitet, hatte ich gehört, dass es bald auch in Russland IKEA geben würde und dass die Planungen für das erste IKEA-Haus in Moskau in vollem Gange waren. Das fand ich spannend: IKEA, aus unserer deutschen Alltagskultur seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr wegzudenken, geht in ein ganz neues Land, in eine Kultur, wo es so etwas noch nie gab. Und das Besondere: In dem internationalen Team, das nach Moskau geht, sind sehr viele Deutsche. Ein toller Stoff für einen Dokumentarfilm, dachte ich gleich, so könnte ich aus der Sicht der Deutschen, der Fremden in Moskau, etwas über das Zusammentreffen der beiden Kulturen erzählen.

Ich suchte den Kontakt zum Management von IKEA Russia, man war etwas skeptisch, aber dann gab es einen Anruf, ob ich nächste Woche Dienstag um 9.30 im Foyer des Sheraton am Frankfurter Flughafen sein könnte. Ich sagte, „Kein Problem“ und traf auf Jens-Peter und Johannes, die mir viele Fragen stellten. Im Zug hatte ich das Buch von Ingvar Kamprad, dem heute über siebzigjährigen IKEA- Gründer, gelesen und hatte gelernt, dass sich bei IKEA alle duzen und konnte im Gespräch alle Bemerkungen der beiden im Sinne der Unternehmensphilosophie besser deuten und verstehen.

Schon bald baute sich die Skepsis ab, ich gewann das Vertrauen der Manager und wurde eingeladen, mich eine Woche in Moskau umzusehen. In der Recherchewoche sprach ich mit allen IKEA Deutschen in Moskau, besuchte sie in ihren großzügigen Dienstwohnungen, die alle ziemlich ähnlich aussahen, weil sie alle mit den gleichen IKEA Möbeln eingerichtet waren. Ulf und Manuela gefielen mir am besten, denn sie hatten außer den Entbehrungen und Ängsten, die so ein Auslandseinsatz mit sich bringt, vor allem eine Liebesgeschichte zu erzählen. Eine Ossifrau und ein Wessimann, die jetzt beide als Expats, wie die Westeuropäer in Moskau genannt werden, den Russen das hellere Leben bringen, auf das diese – da sind sich Ulf und Manuela ganz sicher – so lange gewartet hatten.

Die Dreharbeiten fanden in drei Phasen statt. Im Februar, im März und im April 2000 war ich jeweils eine Woche in Moskau. Das Team war klein, es bestand aus mir als Kameramann und Regisseur, dem Tonmann Marc Parisotto, einem Franzosen aus München, und dem Regieassistenten und Übersetzer Sergiy Kalantay, einem Ukrainer aus München. Ein Dreh in Russland ist nicht so einfach, ich spreche kein Russisch, viele der erfolgreicheren Russen sprechen englisch, aber meistens ist man als Ausländer in Moskau aufgeschmissen. Sergiy Kalantay war nicht nur ein Dolmetscher für die Sprache, sondern auch ein Vermittler zwischen den Kulturen und – ganz wichtig für alle produktionstechnischen Dinge vor Ort – er war „ein Russe auf deutscher Seite“. Hätten wir einen Übersetzer und Aufnahmeleiter aus Moskau engagiert, ich glaube, wir wären nicht so weit gekommen. Denn ein Team aus dem Westen riecht immer nach Geld, und alle wollen profitieren und da gilt es aufzupassen, damit die Dinge nicht uferlos werden.

Für den Hauptdreh am 22. März 2000, als am Eröffnungstag über 37.000 staunende Russen das Haus stürmten, hatte ich mit Stefan Tolz, einem Kollegen, ein zweites Team engagiert, das die Aufgabe hatte, aus dem Meer von Kunden ein paar besondere zu finden, mit denen man kleine Geschichten erzählen konnte. Bei einem jungen Paar gelang es uns sogar, sie bis nach Hause zu begleiten, um den Aufbau des Billy-Regals zu beobachten und sogar die Begrüßungsfeier der Nachbarn anlässlich der wunderbaren Neuanschaffungen filmisch mitzuerleben.

Ich selbst blieb am Eröffnungstag lieber in der Nähe von Ulf und Manuela, meinen Helden, die ein ganzes Jahr auf diesen großen Tag hingearbeitet hatten und nun endlich Gelegenheit fanden – wenn auch nur flüchtig – in Berührung mit dem großen Vater der IKEA-Family, mit Ingvar Kamprad, zu kommen.

Die Nähe und Vertrautheit, die viele Ikeaner in ihrem Unternehmen finden, hat für Außenstehende etwas Außergewöhnliches, manchmal Befremdendes. Doch kam diese Offenheit auch uns zugute, die wir ohne „Aufpasser“ uns frei im Unternehmen bewegen konnten.

Bleibt noch zu betonen, dass es außer der Recherchereise und der Visabeschaffung keinerlei Sponsoring durch IKEA gab, das war uns sehr wichtig, denn wir wollten auch in der Montage des Films unabhängig bleiben bis zum Schluss. Schließlich sollte sich der Film vor allem als beobachtend verstehen, ohne hinzugefügten Kommentar sollte er etwas von dem einfangen, was passiert, wenn man von zu Hause fortzieht, was man für einen Preis dafür zahlen muss und was man gewinnt, wenn man sich ein bisschen traut.

Michael Chauvistré