Bericht Dreharbeiten

Miriam Pucitta und Michael Chauvistré drehen Dokumantarfilm über die Soers.

Es geht um Menschen, Natur und Verlust. „Für wen drehen Sie denn?“ Früher oder später wird ihm die Frage gestellt, egal wo der Mann mit der Kamera auf der Schulter auftaucht. Vorher haben ihn die Menschen halb neugierig, halb kritisch beäugt und heimlich nach einem Logo auf seiner Kamera gesucht. „Können wir das heute Abend in der Lokalzeit sehen?“ Nein, das können Sie nicht, muss er ihnen dann antworten, denn er ist nicht vom WDR. Seine Produktionsfirma trägt einen viel verheißungsvolleren Namen: Happy Endings Film.

Ob dieser Film allerdings gut ausgeht, weiß Michael Chauvistré noch nicht. Denn für einen Dokumentarfilm gibt es kein festes Drehbuch. Gemeinsam mit seiner Frau Miriam Pucitta dreht Chauvistré nämlich einen Film über die Veränderungen in der Soers. Da geht es darum, wie der Bau des Tivolis Landschaft schluckt, die Euregionale mit der Anlage des Weißen Weges für Unruhe in wenig berührter Natur sorgt, wie die Menschen auf die Veränderung reagieren und was der kleine Bürger in der Politik bewegen kann.

Das Thema hat das Ehepaar bei der Ehre gepackt. Als sie vor zwei Jahren mit ihren beiden Kindern von München nach Aachen zogen, waren sie begeistert von so viel Grün in der Stadtrandlage. Dann hörten sie, dass direkt auf der nächsten Wiese an der Hochbrücker Mühle ein Parkplatz entstehen sollte. „Wir waren von heute auf morgen mittendrin im Geschehen“, erzählt Miriam Pucitta. Sie schlossen sich der Bürgerinitiative an, die sich gegen den Parkplatz wehrte – und fingen bald auch an zu drehen. Das erste Mal hatten sie die Kamera 2007 dabei, als im Laurensberger Rathaus die Parkplatzfrage in der Bezirksvertretung behandelt wurde.

Das Filmen ist ihr Metier. Beide haben an der Hochschule für Fernsehen und Film in München studiert und bereits mehrere Dokumentar- und Spielfilme gedreht. Sie haben ihr eigenes Filmstudio zu Hause in der Soers. Die ganze Kolonie Festplatten, die bereits über 40 Stunden Material für das Projekt speichert und die Technik braucht nicht viel Platz.

In weißen Regalen an den Wänden stehen jede Menge Aktenordner, auf denen die Titel der Filmprojekte zu lesen sind wie „Mit Ikea nach Moskau“ (ZDF), „Se non mi vuoi/ Wenn Du mich nicht willst!“ oder „Der Traum des Vaters“ (arte). Der Film über die Soers wird inzwischen von der Filmstiftung NRW gefördert, die das Konzept originell fand.

Pucitta und Chauvistré stellen nämlich die Menschen in den Mittelpunkt. Sie begleiten zum Beispiel Hubert Cohnen. Der ist nicht nur Vorsitzender des Kleingärtnervereins Groß Tivoli, der wegen des Tivolis umziehen muss, sondern arbeitet auch bei den Spielen der Alemannia beim Ordnungsdienst, und beim CHIO öffnet er am großen Stadion die Schranke für den Ausritt der Pferde. Ein Mensch also, der bei allen Ereignissen in der Soers mittendrin steckt.

Er erlebt und erzählt die Entwicklungen ganz anders als ein Politiker. Sie lassen ihn reden, ihn und alle anderen. „Wir wollen in unserem Film alle Parteien zu Wort kommen lassen und nichts beurteilen.“ Die einzigen Stimmen, die auf der Tonspur zu hören sein werden, sind deshalb auch die der anderen. „Wir fangen ein, was passiert, aber wir inszenieren nicht“, sagt Regisseurin Pucitta. Vieles ist deshalb auch nicht planbar.

So haben sie zufällig an einem Freitag den Pächter des Bistros in der Tennishalle des Post-Telekom-Sportvereins (PTSV), Ekrem Atas, interviewt. Die Halle muss dem neuen Tivoli weichen, aber mit Atas haben die Verantwortlichen noch nicht gesprochen. Am Montag darauf ruft er die Filmemacher an und sagt: „Die Bagger kommen. Ich halte sie auf. Kommt filmen.“ Und sie filmen. Sie filmen auch, wie Atas am Nachmittag die Stufen zum Rathaus hoch geht zu einem Gespräch mit dem Bürgermeister. Und sie drehen, wie er am nächsten Tag in den Zeitungen die Geschichten über sich liest.

2009 soll die letzte Minute abgedreht sein. „Man muss einfach einen Punkt setzen“, sagt Chauvistré. Die Eröffnung des Tivolis wäre zum Beispiel so ein Punkt. „Und wenn der nicht fertig ist“, Michael Chauvistré lacht, „könnte die Wahl des neuen Oberbürgermeisters den Schlusspunkt setzen.“

Im Moment sichten, sortieren, sammeln sie allerdings noch das Material. Sie werden auch wieder dabei sein, wenn am Samstag, 17. Mai, der erste Spatenstich für den Tivoli gemacht und kurz danach die neue Kleingartenanlage Groß Tivoli in Behrensberg den Gärtnern übergeben wird. Inzwischen haben sich die Menschen an den Mann mit dem Pferdeschwanz, seine Kamera und die quirlige Frau an seiner Seite gewöhnt. Die Fragen werden seltener.
Mirja Ibsen